FES@Parallel-COP25 Santiago: Klimawandel in Chile (Noticias Friedrich Ebert Stiftung)

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Chile hat 2019 den Vorsitz der UN-Klimakonferenz inne. Aufgrund der Massenproteste gegen die Regierungspolitik, die soziale Ungleichheit und das neoliberale Wirtschaftsmodell wurde die COP25 jedoch kurzfristig nach Madrid verlegt. Dennoch ging es in Santiago vom 2. bis 11. Dezember an zehn Tagen auf der von der chilenischen Zivilgesellschaft organisierten „Parallel-COP“ um Klimaschutz aus den verschiedensten Blickwinkeln. Es gab ein vielfältiges Programm mit verschiedenen Thementagen u.a. zu Wasser, Energiewende, gesellschaftlicher Transformation, Frauen und indigenen Völker und Klimagovernance.

Von der im Vorfeld der COP angekündigten Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz ist Chile jedoch noch weit entfernt. Obwohl das »Gastgeberland« stark vom Klimawandel und zahlreichen ökologischen Konflikten betroffen ist, gibt es bislang kaum ambitionierte Politiken. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern lautstark Schritte hin zu einer sozial-ökologischen Transformation.

Auf diesem chilenischen Sozialgipfel für Klimaschutz wurde am 9. Dezember 2019 die Podiumsdiskussion „Chile und der Klimawandel: Herausforderungen für Public Policy und Progressivismus“ von der FES Chile zusammen mit dem Regionalprojekt sozial-ökologische Transformation ausgerichtet. Dort wurde auch das Buch «Chile und der Klimawandel: Global denken, lokal handeln» vorgestellt.

Global – und transdiziplinär – denken, lokal handeln

Aus verschiedenen Blickwinkeln über die Risiken und Bedrohungen nachzudenken, die der Klimawandel für Chile und den Planeten mit sich bringt, war die Aufgabe sowohl des Buches als auch der Podiumsdiskussion. Dieser transdisziplinäre Charakter ist notwendig bei der dringenden Entwicklung tragfähiger Lösungen. Daher schauten die Autor_innen und Podiumsteilnehmer_innen über den Tellerrand ihrer eigenen Disziplin hinaus und verbanden außerdem Umweltbelange mit sozialen Ungleichheiten und dem aktuellen Wirtschaftsmodell.

Die Herausgeberin des Buchs mit dem der Schwerpunkt auf Public Policy und lokalen Regierungen ist die Direktorin der Stiftung La Alameda, Camila Carrasco. Sie stellte einige Aspekte des Buchs vor, das von einer Gruppe chilenischer Autoren entwickelt wurde. In der Diskussion betonte sie, dass mögliche Veränderungsprozesse in Chile im Kontext der weiterhin neokolonial geprägten Verantwortungsstrukturen zu verstehen sind. Trotz des Entwicklungsmodells, das auf Rohstoffexporte setzt, wurde dennoch die Sozialpolitik vernachlässigt, weshalb für einen großen Teil der Bevölkerung Sorgen um Rente, Gesundheit und Bildung vor Umweltthemen stehen – und das, obwohl die sozial marginalisierte Bevölkerung besonders stark von Umweltverschmutzung und -zerstörung betroffen ist.

Strukturelles statt operationelles Risikomanagement für die Anpassung an den Klimawandel

Neben der Herausgeberin war auch Rodrigo Jiliberto auf dem Podium vertreten. Der Wirtschaftswissenschaftler der Universität Chile hat für das Buch ein Kapitel zu strukturellem Risiko verfasst. Er erläuterte, dass der Klimawandel eine soziale Herausforderung von solchem Ausmaß ist, die neue Instrumente nötig macht. Bei der Anpassung an die Phänomene des Klimawandels, seien es Stürme, Dürren oder kräftige Regenfälle, steht das Konzept des Risikos im Mittelpunkt. Dies wird zumeist mit der konventionellen Risikoanalyse angegangen, die Kosten und Nutzen von Anpassungsmaßnahmen berechnet und gegenüberstellt.

Allerdings gibt es bei der Art, das Risiko zu operationalisieren, relevante methodische und ordnungspolitische Unterschiede. Da der Klimawandel Phänomene mit sich bringen wird, deren spezifische Ausprägung heute noch unbekannt sind, müssen laut Jiliberto grundlegende Konzepte des Risikomanagements überdacht werden. Daher postuliert er das Konzept des strukturellen Risikos.

Die Analyse von strukturellen oder Metarisiken identifiziert das potenzielle Risiko, das sich aus einer strukturell bestimmten Situation ergibt. Somit kann sie den Grad der Notwendigkeit eines vorausschauenden Risikomanagements bestimmen, nicht jedoch die Wahrscheinlichkeit für einen spezifischen Schaden. Dieser Ansatz könnte das Ergreifen von Anpassungsmaßnahmen erleichtern, da sie bisher von dem Fehlen spezifischer Daten gehemmt werden. So werden für Maßnahmen zum Management von Dürren, wie dem Bau von Bewässerungskanälen, Modelle und Daten zur Kalkulierung des Wasserdefizits gefordert. Hier kann, laut Jiliberto, bei Verwendung des strukturellen Risikoansatzes schneller und effektiver geplant und agiert werden.

Meteorologin Gallardo: „Wir müssen unser Verhalten ändern“

Als dritte Podiumsteilnehmerin wurde Laura Gallardo, Meteorologie-Professorin am Zentrum für Klima- und Resilienzforschung der Universität Chile, nach ihrer Meinung aus der Perspektive der Naturwissenschaften gefragt. Ihre überraschende Antwort war, dass es sie die Überbewertung technischer Lösungen am meisten besorge: „Für die Lösung der Dürre werden mehr Stauseen angelegt. Auch die Luftverschmutzung in Santiago wird nur technisch angegangen, anstatt kulturelle Faktoren und das Handeln zu analysieren. Es wird davon ausgegangen, dass wir nichts verändern müssten und das funktioniert nicht.“ Sie schlussfolgert, dass Partizipation, lokale Entscheidungen und ein Umdenken im Kollektiv notwendig seien. Das Konzept des Guten Lebens, des buen vivir, könnte als Inspiration dienen.

Abgeschlossen wurde das Podium mit Kommentaren zum Einfluss der Umweltagenda auf den nun angestoßenen verfassungsgebenden Prozess in Chile. Wirtschaftswissenschaftler Jiliberto lobt die Repolitisierung der chilenischen Gesellschaft und auch der Umweltagenda, welche zuletzt fälschlicherweise als wissenschaftliches Problem wahrgenommen wurde. Angesichts fehlender perfekter Lösungen empfiehlt er eine radikale Haltung in den Bereichen Demokratie und Nachhaltigkeit. Herausgeberin Carrasco betonte die Bedeutung indigener Völker als wichtige Akteure für die Umweltagenda und die Beteiligung verschiedener Disziplinen in einer echten Umweltgovernance. Die Meteorologin Gallardo schloss mit dem Aufruf, ein alternatives Wirtschaftssystem aufzubauen, welche auf Solidarität und Nachhaltigkeit beruhe und die Menschheit nicht als außenstehend, sondern als Teil des Ökosystems wahrnehme.

Alexandra Tost, Master in International Development Studies der Philipps-Universität Marburg, arbeitet als unabhängige Beraterin u.a. für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Chile. Seit 2014 lebt sie in Lateinamerika, wo sie in der internationalen Zusammenarbeit in Sozial- und Umweltfragen tätig ist, u.a. mehrere Jahre bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Bereich partizipative Umweltpolitik sowie öffentliche Investitionen und Anpassung an den Klimawandel.

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